14. Dezember 2020
| Marl

„Kreativ werden und einen eigenen Rhythmus finden“

Mit Miriam Kohlhaas (37) kommt eine absolute Expertin in Sachen Sportpsychologie aus Nordrhein-Westfalen. Die Pädagogin hat unter anderem bereits mit einigen deutschen Topteams im American Football und vielen Einzelsportlern zusammengearbeitet. Während eine sportpsychologische Betreuung von AthletInnen und TrainerInnen in vielen anderen Sportarten seit langem etabliert ist, betreten viele Football-Vereine hier Neuland. Miriam Kohlhaas gehört zu den wenigen Fachleuten in Deutschland, die sich überhaupt mit unserer Sportart aus sportpsychologischer Sicht befassen. Wir freuen uns, dass sie sich die Zeit für ein Interview genommen hat.

AFCV NRW: Warum hast Du Dir ausgerechnet die Sportpsychologie als Spezialgebiet ausgesucht?

KOHLHAAS: Ich habe schon während meines Studiums Jugend- und Amateurspieler zweier Erstligisten in der Fußball-Bundesliga betreut. Dabei hat sich schnell eine Faszination dafür entwickelt, Menschen in ihrem Wachstum begleiten und unterstützen zu dürfen. Die Sportpsychologie ist, anders als die klinische Psychologie, viel mehr auf die Weiterentwicklung eines Menschen und das Nutzen mentaler Ressourcen ausgelegt. Etwas Spannenderes gibt es ja fast gar nicht.

AFCV NRW: Gibt es dafür eine spezielle Ausbildung bzw. Studiumsschwerpunkt?

KOHLHAAS: Als ich 2012 in die Arbeit mit einer Football-Mannschaft eingestiegen bin, musste ich zuerst einmal meine eigenen Schwerpunkte entwickeln. Vor mir hat sich in Deutschland niemand so konkret mit dieser Sportart beschäftigt. Bei meiner Zusammenarbeit mit Sportlern aus der Fußball- und Basketballbundesliga konnte ich mit jedem Spieler individuelle Entwicklungskonzepte erarbeiten. Dann stand ich plötzlich vor 60 Spielern, die so ein Football-Team ja nun einmal hat und war erstmal förmlich erschlagen von der großen Anzahl an Athleten. Auch die Trainercrews sind ja viel größer als in anderen Sportarten. Aber ich habe aus dieser damaligen Not eine Tugend gemacht und daraus meine heutigen Arbeitsschwerpunkte „Leadership und Teambuilding im American Football“ entwickelt.

AFCV NRW: Wie lange arbeitest Du schon in diesem Bereich?

KOHLHAAS: 2007 habe ich damit begonnen, mit Fußball-Mannschaften zu arbeiten. Seitdem bin ich eigentlich ununterbrochen im Bereich Sport aktiv.

AFCV NRW: Woher kommt die Verbindung zum American Football?

KOHLHAAS: In den Jahren 2011 und 2012 war ich festangestellt beim Hauptsponsor eines Basketball-Zweitligisten. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Saison haben wir uns nach den Playoffs zusammengesetzt und die weitere Vorgehensweise geplant. Ein Großteil des Kaders bestand damals aus US-Importspielern, die nach dem Saisonende in die USA zurückgeflogen sind. Mit den restlichen Spielern gab es für mich nicht viel zu tun. So kam die Idee auf, auch die Football-Mannschaft zu betreuen, die ebenfalls von diesem Hauptsponsor unterstützt wurde.

AFCV NRW: Mit welchen Teams und Athleten hast Du bereits zusammengearbeitet?

KOHLHAAS: Am bekanntesten sind da sicherlich die New Yorker Lions und die Schwäbisch Hall Unicorns. Aber auch mit vielen anderen deutschen Football-Teams habe ich bereits einige spannende Projekte auf die Beine gestellt. Dazu kommt die Arbeit mit so großartigen Athleten wie zum Beispiel Sonny Weishaupt, Simon Gavanda, Richard Grooten oder Yannick Baumgärtner. So eine Individualbetreuung ist für mich als Sportpsychologin natürlich besonders spannend, weil man hier die Entwicklung viel besser wahrnehmen kann.

AFCV NRW: Ist das Thema Sportpsychologie im deutschen American Football angekommen?

KOHLHAAS: Ich glaube schon. Zumindest gilt das für die leistungssport-orientierten Teams in Deutschland. In anderen Sportarten ist eine sportpsychologische Betreuung seit Jahrzehnten akzeptiert und vollkommen normal. American Football ist in dieser Beziehung natürlich noch eine relativ junge Sportart. Seit das Thema in den vergangenen Jahren aber auch in der Trainerausbildung bzw. Trainerfortbildung in den Fokus gerückt ist, stößt die Sportpsychologie auf deutlich mehr Interesse.

AFCV NRW: Was sind die Herausforderungen für die Sportpsychologie speziell beim American Football?

KOHLHAAS: Die größte Herausforderung dieser besonderen Sportart ist zugleich der Grund, warum ich sie so sehr liebe. Jeder Mensch findet einen Platz darin. Niemand ist zu dick, zu dünn, zu groß oder zu klein. Niemand ist nicht intelligent genug oder hat eine vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft, sofern es sowas überhaupt gibt. Jedes Mal, wenn ich an einer Sideline stehe, bin ich stolz darauf, dass ich in einem Football-Team die ganze Welt vereint sehen kann, so wie ich sie mir auch außerhalb des Platzes wünsche. Eine bunte Welt in der jeder Mensch willkommen ist.

Die große Masse an Spielern mit all diesen unterschiedlichen Persönlichkeiten macht mir die Arbeit auf der anderen Seite aber ungleich schwerer. Denn ich möchte ja einer Mannschaft so viel wie möglich mitgeben, obwohl ich nicht mit jedem Spieler einzeln intensiv arbeiten kann. Das wäre selbst als Fulltime-Job für einen allein kaum zu stemmen.

AFCV NRW: Mit welcher Spielposition arbeitest Du am liebsten?

KOHLHAAS: Natürlich mag ich jede Position beim American Football mit ihren ganz speziellen Eigenarten und Herausforderungen. Nach meiner ersten Veröffentlichung im Netzwerk der Sportpsychologen, kann ich allerdings nicht mehr leugnen, dass mir die Offense Line immer ganz besonders am Herzen liegt. Während Footballerinnen und Footballer insgesamt schon besonders sind, bilden die schweren Jungs und Mädels noch einmal einen ganz eigenen Mikrokosmos.

Dazu haben bei mir die Teamcaptains einen besonders hohen Stellenwert, denn sie sind in der Regel das Bindeglied zwischen den Coaches, den übrigen Spielern und mir.

AFCV NRW: Aktuell beschäftigt uns die Corona-Krise natürlich am meisten. Was macht das mit uns mental?

KOHLHAAS: Wir alle, einmal unabhängig vom Sport, haben durch eine solch unerwartete Zeit Ängste. Diese Ohnmacht und die Ungewissheit, wie es weiter geht, fällt uns allen schwer auszuhalten. Wir sind es gewohnt über die meisten Situationen im Leben die Kontrolle zu haben und das gibt uns Sicherheit. Jetzt haben wir es plötzlich mit einer für uns kaum kontrollierbaren Gefahr zu tun und müssen auf das Urteil anderer vertrauen. Das ist für viele ein Problem.

Wir alle fühlen uns zudem in unserer persönlichen Freiheit beschnitten. Deshalb ist es am wichtigsten das Gefühl der Selbstwirksamkeit, also die Überzeugung in uns, auch schwierige Situationen aus eigener Kraft erfolgreich meistern zu können, wieder zu stärken. Hier gibt es dann übrigens wieder Parallelen zum Sport. Denn auch Athletinnen und Athleten müssen einen festen Glauben an den Erfolg der eigenen Fähigkeiten haben.

AFCV NRW: Gibt es auch Wege zur Selbstmotivation? Für alle, die vielleicht gerade nicht auf die Hilfe einer Sportpsychologin zurückgreifen können?

KOHLHAAS: Viele Dinge um uns herum können wir nicht beeinflussen, aber was für Chancen gibt uns auch diese Zeit. Wir bekommen die Möglichkeit, besonders die mentalen Fähigkeiten enorm zu verbessern durch Training. Hier lautet das Stichwort: Resilienz.

Man könnte zum Beispiel ganz einfach damit beginnen, sich Fragen zu stellen. Was ist mir eigentlich wichtig? Was ist mein Warum? Wo genau möchte ich hin und wie genau schaffe ich es dort anzukommen? Es geht zunächst um Selbstreflexion, also sich aktiv mit diesem Fragen auseinanderzusetzen, mögliche Antworten aufzuschreiben und sich damit zu beschäftigen.

Es gibt zudem eine ganze Reihe von mentalen Trainingstools, die man sich auch selbst aneignen kann. Es muss nicht immer gleich ein Profi zu Hilfe gerufen werden.

AFCV NRW: Wie können Spieler, Coaches und auch Staff ihre Zuversicht beibehalten und nicht in eine „Corona-Lethargie“ verfallen?

KOHLHAAS: Es hat alles damit zu tun, wie wir die Dinge bewerten. Versuchen wir es hier einmal mit der Kognitiven Therapie und sehen diese Zeit nicht als Strafe, sondern Chance an. Wozu also kann ich als Sportler diese zugegebenermaßen verrückte Zeit nutzen? Für welche Dinge habe ich Zeit, die ich in einer aufregenden Saisonphase niemals erledigen könnte?

Zuallererst sollte man versuchen, die positiven Dinge in den Fokus zu rücken. Auch wenn man meint, dass alles schlecht und hoffnungslos ist, gibt es immer auch ermutigende Seiten in einer Krise. Viele von uns nehmen sich aber nicht die Zeit, darüber in Ruhe nachzudenken oder vielleicht auch mal mit anderen darüber zu sprechen.

AFCV NRW: Wie können Coaches ihren Spielern ganz konkret helfen?

KOHLHAAS: Ein Sportlerleben ist in der Regel getrieben durch Struktur. Diese Strukturen werden den Athletinnen und Athleten meist von außen vorgegeben wird. Es gibt feste Trainingstage, feste Spieltage oder geplante Besuche im Gym.

Trotz der aktuellen Situation können die Coaches ihren Spielerinnen und Spielern dabei helfen, sich eigene Strukturen in Bezug auf Sport zu schaffen. Das fängt mit kleinen Trainingsplänen an, die bestimmte Übungen für einen Tag vorgeben. Die regelmäßige Kontaktaufnahme lässt die Spieler spüren, dass sie noch dazugehören.

Darüber hinaus müssen die Aktiven aber auch selbst kreativ werden und einen eigenen Rhythmus finden. Vielen Sportlern würde das Sicherheit in ihrem Alltag zurückgeben, auch wenn es sich für einige sicherlich erst einmal komisch anfühlt, sich selbst plötzlich im Sport strukturieren zu müssen.

AFCV NRW: Du sprichst davon, Zugehörigkeiten zu schaffen? Warum ist das so wichtig und wie gelingt so etwas?

KOHLHAAS: Viele Trainer fühlen sich besonders in der trainingsfreien Zeit als wenig wirksam. Die Vereine haben vielleicht sogar Angst, die Spieler nicht halten zu können. Es gibt viele, viele Zoom-Meetings in der Woche zum Thema Theorie. Natürlich ist auch das sehr wichtig und füllt diese Zeit mit sinnvollem Inhalt. Jedoch glaube ich, dass es wichtiger ist, in dieser Zeit dafür zu sorgen, dass sich die Spielerinnen und Spieler zu ihrer Unit, ihrem Team und auch ihrem Verein zugehörig fühlen.

Eine meiner Aufgaben in dieser Zeit sehe ich darin, dass die Sportlerinnen und Sportler insbesondere in Teamsportarten, sich auch wieder als eine Gemeinschaft wahrnehmen. Bei den Mannschaften, mit denen ich zusammenarbeite, entwickle ich meist gemeinsam mit den Captains unterschiedliche Aufgaben für das Team. Damit lassen sich das „Wir-Gefühl“, die Kommunikation untereinander und die Selbstwirksamkeit stärken. So fühlen sich die Spielerinnen und Spieler in dieser Zeit nicht einsam, sondern nehmen sich ganz im Gegenteil als Team wahr und unterstützen sich gegenseitig.

AFCV NRW: Schönreden oder die harte Wahrheit. Welche Form der Kommunikation ist Deiner Meinung nach in Krisenzeiten sinnvoller?

KOHLHAAS: Ich persönlich bin immer dafür, eine wahrhaftige und ehrliche Kommunikation zu wählen. Das schließt ja grundsätzlich nicht aus, dass diese Form von Wertschätzung geprägt sein kann und gerne auch Hoffnung beinhaltet. Alles hübsch verpackt in rosa Schleifchen zu präsentieren schafft hingegen Erwartungen, die so am Ende vielleicht nicht gehalten werden können. Damit ist niemandem geholfen.

AFCV NRW: Das Wechselkarussell dreht sich vermutlich auch in diesem Winter. Wie können Trainer oder auch Vereinsvorstände damit umgehen, wenn sie vielleicht so schon Spieler verloren haben?

KOHLHAAS: Wenn man sich als Vorstand und Trainerstab in einer solch verrückten Zeit bestmöglich aufstellt, gerade, was die mentale Komponente mit einbindet, hat man alles getan, was man machen kann. Alles, was eine seriöse Professionalität erahnen lässt, gibt Spielern Sicherheit und wird dazu beitragen, dass sie bei ihrem Verein bleiben.

AFCV NRW: Hast Du einen Tipp für die kommenden Feiertage?

KOHLHAAS: Nutzt die erlaubten Kontaktmöglichkeiten mit Sinn und Verstand. Nur weil Weihnachten ist, muss man ja nicht seine Gesundheit oder die der Eltern und Großeltern leichtfertig aufs Spiel setzen. Ein Telefongespräch oder ein Video-Call ersetzen natürlich nicht die persönliche Begegnung, aber das ist immer noch besser als nichts. Ich würde gerne im kommenden Jahr wieder zu einem Footballspiel gehen können, aber bevor das so weit ist, haben wir noch eine Menge Arbeit vor uns. Und das geht am besten mit einem der herausragendsten Merkmale beim American Football: dem einzigartigen Teamgeist.

 

Alle Informationen zu Miriam Kohlhaas unter www.mk-coaching.net und unter www.die-sportpsychologen.de.

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Mit seinen mehr als 80 Mitgliedsvereinen ist der AFCV NRW der größte Landesverband für American Football und Cheerleading in Deutschland. American Football wird aktuell im Herrenbereich, sowie in den Jugendaltersklassen U10, U13, U16 und U19 angeboten. Die kontaktlose Variante, Flag Football genannt, findet bei uns in NRW vornehmlich an Schulen statt, wird aber auch in einigen Vereinen mit großer Begeisterung gespielt. Die Cheerleading-Vereine stellen ihr großes sportliches Können im Breitensport und bei den NRW-Landesmeisterschaften unter Beweis. Titelerfolge bei Deutschen Meisterschaften sowie Europa- und Weltmeisterschaften sind auch keine Seltenheit.

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